Für die SPD ist die gesetzliche Rentenversicherung die zentrale Säule der Altersvorsorge in Deutschland. Diese hat sich durch ihre Umlagefinanzierung in der Finanz- und Wirtschaftskrise als robust erwiesen und auch bei der Deutschen Einheit bewährt. Für das System der deutschen Altersversorgung hat sich die geringe Bedeutung der Kapitaldeckung als Vorteil erwiesen, denn die kapitalgedeckten Altersvorsorgesysteme haben in der Finanzkrise enorme Verluste gemacht.
Das durchschnittliche Sicherungsniveau in der Altersversorgung ist im internationalen Vergleich betrachtet ansehnlich. Obwohl der demografische Wandel zu einer Alterung der Bevölkerung führt und die soziale Sicherung zweifellos verteuert, ist es nach Ansicht von Prof. Dr. Gerd Wagner, Renten-Experte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, völlig offen, ob es tatsächlich zu einer Finanzkrise der Sicherungssysteme kommen wird. Der Grund dafür ist, dass die ArbeitnehmerInnen in Deutschland sich mit ihrer Gesamtabgabenlast im internationalen Vergleich eher im Mittelfeld bewegen. Eine Dramatisierung seitens der Arbeitgeber und durch ihnen nahestehende neoliberale Institute nach Abschaffung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung und einem völligen Umstieg auf eine privat finanzierte und kapitalgedeckte Altersvorsorge sind unangemessen.
Dennoch steht auch die gesetzliche Rentenversicherung vor neuen Herausforderungen:
Sie verliert an gesellschaftlicher Legitimation und Akzeptanz, wenn sie nicht lebensstandardsichernd ist, sondern auf Mindestsicherungsniveau verharrt und wenn sie Altersarmut nicht verhindern kann. Daher muss ein weiteres Absinken des Rentenniveaus sowie die insbesondere Frauen betreffende Altersarmut verhindert werden. Die Klärung betrifft soziale Verteilungsfragen, die innerhalb der Rentenversicherung aber auch durch weitere Steuerzuschüsse politisch geklärt werden müssen. Dabei darf der augenblickliche Höchstbeitragssatz von 22 Prozent kein Dogma sein.
Für diese sozialen Verteilungsfragen hat die SPD in ihrem einstimmigen Beschluss „Die SPD-Rentenpolitik: Arbeit muss sich lohnen!“ auf dem SPD-Parteikonvent am 24. November 2012 bereits Lösungen präsentiert. Die SPD Berlin hatte sich im Vorfeld des Parteikonvents in ihrer Resolution „Miteinander. Für soziale Gerechtigkeit, Berliner Eckpunkte für das SPD-Regierungsprogramm zur Bundestagswahl.“ für eine solidarische Lebensleistungsrente und für die Beibehaltung des Rentenniveaus bei 50 Prozent ausgesprochen. Vieles, aber nicht alles, ist in den Koalitionsvertrag eingeflossen.
Die SPD Reinickendorf hatte mich am 16. Februar 2015 zum Thema Rentenpolitik in ihre Kreisvorstandssitzung eingeladen. Ich freue mich, dass sich die Genossinnen und Genossen in meinem Betreuungswahlkreis intensiv - und frühzeitig in Vorbereitung für ein neues Wahlprogramm 2017 - mit dieser für uns alle so wichtigen Herausforderung auseinandersetzen. Fakt ist: Die Zukunftsfestigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung im Kontext des demografischen Wandels ist eine der herausragenden Herausforderungen der Zukunft. Schon in wenigen Jahren nähert sich die Generation der „Babyboomer“ dem Rentenalter, die Generation „Pillenknick“ muss die sozialen Sicherungssysteme finanzieren.
Für Panik besteht derzeit kein Anlass, aber es gilt große Herausforderungen zu bewältigen, insbesondere
- die Entwicklung von Beitragssatz und Rentenniveau im demografischen Wandel
- die Verhinderung von Altersarmut,
- die Entwicklung von privater und betrieblicher Vorsorge,
- die verschiedenen Übergänge in die Rente.
Beitragssatz und Rentenniveau - und die Bedeutung von Zuwanderung
Derzeit gilt die Rentenformel: Der Beitragssatz darf bis zum Jahr 2030 nicht über 22 Prozent anwachsen und das Rentenniveau für die „StandardrentnerIn“ darf nicht unter 43 Prozent des Netto-Durchschnittslohn sinken. Ob diese Rentenformel mittelfristig Bestand hat, muss politisch geklärt werden. Laut aktuellem Rentenversicherungsbericht 2014 der Bundesregierung betrug das Rentenniveau 2014 48 Prozent bei einem Beitragssatz von 18,7 Prozent, für 2028 wird ein Rentenniveau von 44,4 Prozent bei einem Beitragssatz von 21,4 Prozent prognostiziert. Nach dem Jahr 2030 müsste nach jetzigen Prognosen entweder der Beitragssatz über 22 Prozent ansteigen oder das Rentenniveau auf unter 43 Prozent sinken. All diese Prognosen sind allerdings abhängig von der Entwicklung der Zuwanderung und dem Rentenzugangsalter. Am 5. Februar 2015 hatten Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Manuela Schwesig, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Staatsministerin Aydan Özoğuz, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, gemeinsam den zweiten Forschungsbericht "Arbeitsmarkt 2030. Die Bedeutung der Zuwanderung für Beschäftigung und Wachstum" vorgestellt. Demnach ist die Zuwanderung von 200.000 Menschen pro Jahr nach Deutschland notwendig, um den Fachkräftebedarf zu sichern. Die Zuwanderung würde auch positive Wirkungen für die Rentenversicherung zu erzeugen.
Verhinderung der Altersarmut
Die Frage nach Armutsvermeidung im Alter muss politisch noch stärker Beachtung finden. Es bedarf neuer Lösungen. Diese sind auch deshalb von großer politischer Bedeutung, weil nur wenn Altersarmut vermieden werden kann, die Akzeptanz der Alterssicherung in der Gesellschaft erhalten bleibt.
Ausbau der betrieblichen Vorsorge
Fakt ist leider, dass im unteren Einkommensbereich nur wenige Menschen eine betriebliche Altersvorsorge haben. Dieses gilt gerade auch für Frauen, gilt vielfach auch für Beschäftigte in klein- und mittelständischen Unternehmen. Hier müssen wir zusammen mit den Gewerkschaften für mehr betriebliche und tarifvertragliche Regelungen zu kämpfen, um mehr Beschäftigten eine zusätzliche Altersvorsorge zu schaffen. Dieses ist für die ArbeitnehmerInnen besser und sicherer als auf Modelle freiwilliger privater Vorsorge zusetzen.
Rentenzugang besser gestalten
Vorwiegend für gering- und nicht-qualifizierte ArbeitnehmerInnen und gesundheitlich Beeinträchtigte führt die Anhebung des Rentenalters zu Problemen. Deswegen ist der Ausbau der Erwerbsminderungsrente notwendig. Für die soziale Lage im Alter ist die Gestaltung des Rentenzugangs ein entscheidender Faktor, da nicht gelingende Übergänge zu erheblichen Einkommenseinbußen führen.
Schlussfolgerungen – keine Finanzierungs- sondern eine Verteilungsfrage
Die Diskussion um die Finanzierung der Altersvorsorge ist derzeit nahezu nachrangig. Unter Berücksichtigung der hohen Produktivität unserer Volkswirtschaft liegen die Lohnkosten in Deutschland im internationalen Vergleich keineswegs bedenklich hoch. Ein steigendes Rentenzugangsalter und mehr Zuwanderung können die Finanzierungsprobleme weiterhin verkleinern.
Das eigentliche Problem ist ein verteilungspolitisches, nämlich die Sicherung einer menschenwürdigen Versorgung von Erwerbsgeminderten und jungen Altersrenten-ZugängerInnen. Außerdem kommt es für Versicherte mit niedrigem Einkommen - unter anderem aufgrund unvollständiger Versicherungsbiografien und/oder langer Niedriglohnbeschäftigung - zu Versorgungsproblemen, wenn die Versicherungsleistung von den zuvor gezahlten Beiträgen abhängt und dadurch die Renten unter dem Niveau der Grundsicherung liegen. Dies führt zu einem Anstieg der Zahl der BezieherInnen von Altersgrundsicherung. Diese Herausforderungen können nur durch Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung oder durch Steuerzuschüsse gelöst werden.
Sozialdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag
Wesentliche sozialdemokratische Forderungen sind bereits in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition eingeflossen. Wir stehen für eine Neue Ordnung am Arbeitsmarkt. Gerade die Entwicklung am Arbeitsmarkt hat Folgen für die Entwicklung der Renten: Positiv für das künftige Rentenniveau und zur Vermeidung von Altersarmut ist die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, sind die Bestrebungen zur Aufhebung des Gender Pay Gap zu Lasten der Frauen, sind die verstärkten Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf.
Rentenpolitisches Regierungshandeln in der großen Koalition
Wir erinnern uns: Das erste große Gesetz der Großen Koalition war das Rentenpaket vom 1. Juli 2014. Mit diesem „Rentenpaket“ wird die Lebensleistung der Menschen besser anerkannt. Es profitieren über 11 Millionen Menschen: „Mütterrente“ können rund 9,5 Millionen Mütter und Väter beziehen, für die Rente mit 63 wurden bis Ende 2014 ca. 206.000 Anträge gestellt, für 180.000 Menschen verbessern sich die Ansprüche bei der Erwerbsminderungsrente, bessere Rehabilitationsmaßnahmen können 1,4 Millionen Menschen in Anspruch nehmen. Der DGB hat die SPD, hat die Große Koalition explizit „gelobt“, da erstmals nach 20 Jahren keine Leistungskürzungen, sondern konkrete Verbesserungen für die Menschen durchgesetzt wurden.
Rentenpaket 2014: Lebensleistung besser honorieren
Im Rentenpaket wurden bereits gesetzlich geregelt:
- Die abschlagsfreie Rente zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze, nach langer Berufstätigkeit und 45 Beitragsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung.
- Die verbesserte Anerkennung von Kindererziehung in der Rente für Mütter oder Väter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden - sog. „Mütterrente“.
- Die höhere Erwerbsminderungsrente für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeitsfähig sind.
- Die Erhöhung des Budgets für Rehabilitationsmaßnahmen (Reha-Budget).
Rente mit 63 Jahren bei 45 Beitragsjahren
Zu den Beitragsjahren zählen Pflichtbeiträge aus Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit, freiwillig geleistete Beiträge, Wehr- oder Zivildienst, Kindererziehungs- und Pflegezeiten, der Bezug von Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld (ohne Beschränkung), der Bezug von Krankengeld, Übergangsgeld, der Bezug von Leistungen zur beruflichen Weiterbildung, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, Winterausfallgeld und Insolvenzgeld. Um keine Anreize für den missbräuchlichen Bezug von Arbeitslosengeld (sog. „Frühverrentung“) zu schaffen, werden Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs zwei Jahre vor Beginn der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren nicht mitgezählt. Eine Ausnahme besteht dann, wenn eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers vorliegt.
Mütterrente - Anerkennung von Erziehungszeiten
Die Rente funktioniert nach dem Äquivalenzsystem. Sie spiegelt das Erwerbsleben wieder - und macht damit auch die strukturelle Benachteiligung von Frauen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie deutlich. Auf der augenblicklichen Basis gilt folgende Faustregel: Jedes Kind „kostet“ die Frauen etwa 50 Euro Rente pro Monat. Mit der sogenannten Mütterrente von 28 Euro (West) bzw. 26 Euro (Ost) wird die Hälfte „zurückerstattet“. Finanziert wird die Mütterrente zu zwei Dritteln aus Beiträgen und leider nur zu einem Drittel aus Steuern. Die SPD hatte gefordert, die Mütterrente vollständig aus Steuermitteln zu finanzieren. Diese Forderung wurde auch vom Deutschen Frauenrat unterstützt.
Mehr Mittel für Rehabilitation
Wir wissen, dass der Bedarf an rehabilitativen Maßnahmen ab dem 45sten Lebensjahr steigt. Aus diesem Grunde wurde das Reha-Budget um 200 Mio. Euro erhöht und die Leistungen für medizinische Reha-Maßnahmen ausgeweitet. Wir stärken damit auch den Grundsatz Rehabilitation vor Rente.
Erhöhung der Erwerbsminderungsrente
Erwerbsminderung ist eines der größten Armutsrisiken. Fakt ist: Niemand wird freiwillig arbeitsunfähig. Wer krank ist, nicht mehr arbeiten kann und in Erwerbsminderungsrente geht, hat bisher eine Rente bekommen, als hätte er oder sie noch bis zum vollendeten 60. Lebensjahr weiter gearbeitet. Diese so genannte „Zurechnungszeit“ wird nun um zwei Jahre - von 60 auf 62 Jahre - verlängert.
Ein Punkt, der mich auch in meiner Aufgabe als Gesundheitspolitikerin berührt: Menschen mit niedrigerem Einkommen und geringerer Bildung haben eine geringere Lebenserwartung als andere. Zu der Frage, inwieweit davon Menschen mit Erwerbsminderungsrenten betroffen sind, fehlen mir statistische Aussagen.
Weitere rentenpolitische Vorhaben in dieser Legislatur
Die SPD und die SPD-Bundestagsfraktion, hier insbesondere die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, beschäftigen sich intensiv mit den vielfältigen rentenpolitischen Herausforderungen. Dazu gehören vor allem:
Solidarische Lebensleistungsrente
Vor allem Frauen, die zwar lange gearbeitet, aber nur niedrige Löhne erhalten haben, droht Altersarmut. Dabei soll sich Lebensleistung und langjährige Beitragszahlung in der Sozialversicherung doch lohnen. Die Einführung der solidarischen Lebensleistungsrente wird voraussichtlich bis 2017 erfolgen. Der dabei geltende Grundsatz lautet: Wer langjährig in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war, Beiträge gezahlt hat (40 Jahre) und dennoch im Alter weniger als 30 Rentenentgeltpunkte Alterseinkommen (Einkommensprüfung) erreicht, soll durch eine Aufwertung der erworbenen Rentenentgeltpunkte bessergestellt werden. Dies kommt vor allem GeringverdienerInnen zugute und Menschen, die Angehörige gepflegt oder Kinder erzogen haben. Weiterhin stellen wir durch eine Übergangsregelung bis 2023 (in dieser Zeit reichen 35 Beitragsjahre) sicher, dass insbesondere die Erwerbsbiografien der Menschen in den neuen Ländern berücksichtigt werden. In allen Fällen werden bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit wie Beitragsjahre behandelt. Danach soll zusätzliche Altersvorsorge als Zugangsvoraussetzung erforderlich sein. In einer zweiten Stufe sollen jene Menschen, die trotz dieser Aufwertung nicht auf eine Rente von 30 Entgeltpunkten kommen, jedoch bedürftig sind (Bedürftigkeitsprüfung), einen weiteren Zuschlag bis zu einer Gesamtsumme von 30 Entgeltpunkten erhalten. Die Finanzierung erfolgt aus Steuermitteln, u. a. dadurch, dass Minderausgaben in der Grundsicherung im Alter als Steuerzuschuss der Rentenversicherung zufließen, und durch die Abschmelzung des Wanderungsausgleichs.
Betriebsrenten stärken
Wir wollen die Voraussetzungen für Betriebsrenten in Klein- und Mittelbetrieben schaffen. Dieses ist sozialpolitisch äußerst sinnvoll und besonders wichtig.
Angleichung der Renten von Ost- und Westdeutschland
Zum Ende des Solidarpaktes, also 30 Jahre nach Herstellung der Einheit Deutschlands, wenn die Lohn- und Gehaltsangleichung weiter fortgeschritten sein wird, erfolgt in einem letzten Schritt die vollständige Angleichung der Rentenwerte. Zum 1. Juli 2016 wird geprüft, wie weit sich der Angleichungsprozess bereits vollzogen hat und auf dieser Grundlage entschieden, ob mit Wirkung ab 2017 eine Teilangleichung notwendig ist.
Übergänge in die Rente flexibler gestalten
Wir wollen Teilrente und Zuverdienstmöglichkeiten besser regeln. Damit entsprechen wir einer Forderung der Gewerkschaften. Eine Arbeitsgruppe im Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet derzeit Vorschläge, wie Arbeit und Rente besser als bisher kombiniert werden können. Noch gibt es dazu unterschiedliche Positionen zwischen SPD und CDU/CSU.
v.l.n.r.: Gerald Walk, stv. Kreisvorsitzender, Jörg Stroedter, Kreisvorsitzender, Bettina König, Kreisschriftführerin